Öffentliche Bekanntmachung gemäß § 41 Abs. 3 und 4 Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz (ThürVwVfG);
Amtliche Tierseuchenbekämpfung;
Bekämpfung der Geflügelpest;
Abgabe von Geflügel im Reisegewerbe
Die Stadt Suhl erlässt folgende
Allgemeinverfügung
1. Geflügel darf in gesamten Gebiet der Stadt Suhl außerhalb einer gewerblichen Niederlassung oder, ohne eine solche Niederlassung zu haben, nur abgegeben werden, soweit das Geflügel längstens vier Tage vor der Abgabe klinisch tierärztlich oder im Fall von Enten und Gänsen virologisch untersucht wurden.
2. Die virologischen Untersuchungen von Enten und Gänsen nach Punkt 1. sind jeweils an Proben von 60 Tieren je Partie, die an einem Tag abgegeben werden oder bei weniger als 60 Tieren je Partie, an allen Tieren der Partie, die an einem Tag abgegeben werden, mittels kombinierten Rachen- und Kloakentupfern, die am Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz oder einem für diese Untersuchung akkreditiertem Labor untersucht werden, durchzuführen.
3. Die Untersuchungen nach den Punkten 1. und 2. sind vom Abgeber durch eine Bescheinigung nachzuweisen.
4. Für die Punkte 1. bis 3. dieser Allgemeinverfügung wird die sofortige Vollziehung angeordnet.
5. Diese Allgemeinverfügung ergeht unter dem Vorbehalt des Widerrufes und gilt bis auf Weiteres.
6. Diese Allgemeinverfügung wird an dem auf die öffentliche Bekanntmachung folgenden Tag wirksam.
7. Diese Allgemeinverfügung ergeht verwaltungskostenfrei.
Gründe
I.
Aufgrund einer nachweislichen Einschleppung des Hochpathogen Aviären Influenzavirus vom Typ H5N8 (HPAIV H5N8) über den Geflügelhandel aus Nordrhein-Westfalen Mitte März nach Thüringen kam es im März und April 2021 zu einem massiven Ausbruchsgeschehen im Freistaat. Der Verkauf der infizierten Tiere erfolgte überwiegend im mobilen Geflügelhandel. Den mit einem mobilen Geflügelhandel einhergehenden Dokumentationspflichten (Erfassung der Kontaktdaten der Käufer) kamen die Händler nur teilweise nach, ebenso waren die Angaben der Käufer teilweise unvollständig oder falsch. An dieser Sachlage hat sich nach hiesiger Einschätzung nichts geändert. Im November 2021 kam es erneut zu einem Ausbruch der HPAI in einem Junghennenaufzuchtbetrieb in Nordrhein-Westfalen. Es besteht daher erneut die konkrete Gefahr einer weiteren Ausbreitung von Infektionen mit dem hochpathogenem Aviären Influenzavirus auf dem Gebiet der Stadt Suhl, insbesondere durch die Praxis des Verkaufs von Lebendgeflügel im mobilen Reisegewerbe.
Gemäß der aktuellen Risikobewertung des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) vom 26.10.2021 stellt der ambulante Handel mit lebenden Geflügel ein hohes Risiko für die weitere Verschleppung des AIV H5 dar. Die wirksame Überwachung des ambulanten Lebendgeflügelverkaufs zur Vermeidung einer Verbreitung von HPAI-Infektionen wird empfohlen.
II.
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Thüringer Ausführungsgesetz zum Tiergesundheitsgesetz (Thüringer Tiergesundheitsgesetz - ThürTierGesG) i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz (ThürVwVfG) ist die Stadt Suhl zuständige Behörde für den Erlass dieser Allgemeinverfügung.
Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachtes, eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße erforderlich sind.
Gemäß Art. 4 Nr. 24 VO (EU) Nr. 2016/429 ist ein Unternehmer jede natürliche und juristische Person, die für Tiere (oder Erzeugnisse) verantwortlich sind, auch für einen begrenzten Zeitraum. Der Geflügelhändler erfüllt vollumfänglich diese Definition und ist somit gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a) iii) VO (EU) Nr. 2016/429 zur Minimierung des Risikos der Seuchenausbreitung verpflichtet. Um dies sicherzustellen, hat er gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b) und c) VO (EU) Nr. 2016/429 geeignete Maßnahmen zum Schutz seiner gehaltenen Tiere zu ergreifen. Diese umfassen gemäß Artikel 10 Abs. 4 Buchstabe b) iii in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 VO (EU) Nr. 2016/429 auch die Bedingungen für die Verbringung der gehaltenen Tiere unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken.
Die Anordnung der klinischen Untersuchung von lebendem Geflügel bzw. der virologischen Untersuchung von lebenden Enten und Gänsen, welche außerhalb einer gewerblichen Niederlassung oder, ohne eine solche Niederlassung zu haben, abgegeben werden sollen gemäß Punkten 1. und 2. dienen der Konkretisierung der im Art. 10 VO (EU) Nr. 2016/429 dargestellten Anforderungen und werden formuliert auf Grundlage von § 14a Abs. 1 Geflügelpest-Verordnung. Die in § 13 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und Satz 3 Nummer 1 der Geflügelpest-Verordnung definierten Probenumfänge sind dabei bezogen auf Enten und Gänse zu beachten. Eine Untersuchung von Geflügel, was direkt zur Schlachtung abgegeben wird, ist dagegen entbehrlich (§ 14a Abs. 2 Geflügelpest-Verordnung).
In dem unter römisch I. genannten Gutachten des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) wird das Risiko des Eintrags von Geflügelpest des Subtyps H5 durch den ambulanten Handel mit lebendem Geflügel als hoch eingeschätzt.
Am 02.12.2021 wurde der Ausbruch der Geflügelpest in einem Hausgeflügelbestand in Thüringen (Altenburger Land) bestätigt. Der Ausbruch lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Tierzukauf aus einem betroffenen Bestand eines anderen Bundeslandes zurückführen. Das Risiko der Virusverbreitung durch Tierverkäufe besteht also nachweislich.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es erforderlich, weitere Verschleppungen der Geflügelpest jedweder Form zu verhindern. Lebend abgegebenes / verkauftes Geflügel, welches über den ambulanten Handel weitergeben wird, birgt aufgrund der „Kleinteiligkeit" der Verkaufschargen (breite Streuung) sowie der nachweislich schlechten Dokumentation bei allen am Handel Beteiligten ein hohes Risiko. Eine sichere Nachverfolgung von ggf. als infiziert erkannten Tierpartien aus den abgebenden Beständen - sowohl aus privaten Beständen wie auch von Händlern- ist zeitnah nicht möglich. Die Anordnung der Untersuchung erhöht die Sicherheit, dass kein infiziertes Geflügel in den Handel kommt. Aufgrund der typischerweise beim Wassergeflügel weniger bis gar nicht ausgeprägten klinischen Symptomatik sind für diese vom Gesetzgeber eine Abklärung mittels virologischer Untersuchungen vorgesehen.
Die Durchführung der Untersuchung ist durch eine tierärztliche Bescheinigung nachzuweisen. Diese ist der zuständigen Behörde auf Verlangen vorzulegen und mindestens ein Jahr ab letztem Kalendertag des Ausstellungsmonats aufzubewahren (§ 14a Abs. 1 Satz 3 bis 5 Geflügelpest-Verordnung).
Die Anordnungen der Punkte 1. bis 3. dieser Allgemeinverfügung wurden in pflichtgemäßer Ausübung des eingeräumten Ermessens erlassen. Es stehen zunächst keine Gründe der Seuchenbekämpfung entgegen. In Anbetracht der dargelegten Gefährdungssituation in Deutschland mit einem zu befürchtenden Annäherung der Tierseuche bzw. einer konkreten Gefahr der Infektion von Geflügelbeständen sind Anordnungen für den Verkauf/Zukauf von Geflügel zu treffen.
Die Anordnungen der Punkte 1. bis 3. sind geeignet, den Zweck, die Verhinderung einer Infektion von Hausgeflügel mit HPAI H5, zu erreichen. Die klinische Untersuchung von anderem Geflügel als Enten und Gänsen bzw. die virologische Untersuchung der letztgenannten bietet auf Grundlage der veterinärmedizinischen Erkenntnisse, die sich in der Gesetzgebung des § 14a Geflügelpest-Verordnung niederschlagen, eine höhere Sicherheit, dass kein Virus verschleppt wird, als ohne Untersuchung besteht. Die Anordnungen der Punkte 1. bis 3. sind erforderlich, da kein anderes, milderes Mittel zur Verfügung steht, welches zur Zweckerreichung gleichermaßen geeignet ist. Die Anordnungen der Punkte 1. bis 3. sind auch für das gesamte Gebiet der kreisfreien Stadt Suhl erforderlich, da die Gefahr besteht, dass sich die Anzahl der von Geflügelpest betroffenen Kreise bzw. kreisfreien Städte aufgrund des dynamischen Geschehens auch auf das eigene Kreisgebiet ausweitet. Darüber hinaus besteht nach wie vor bundesweit ein hohes Geflügelpest-Einschleppungsrisiko über HPAIV-infizierte Wildvögel in Hausgeflügelbestände und Geflügelhandelsbetriebe. Ein Eintrag des HPAIV über infizierte Wildvögel in den Geflügelhandelsbetrieb in Nordrhein-Westfalen, von dem im Frühjahr 2021 aus die Tierseuche über infizierte Tiere in mehrere Bundesländer verschleppt wurde, gilt als sehr wahrscheinlich. Die Anordnung ist auch angemessen, da die wirtschaftlichen Nachteile, welche die betroffenen Geflügelhändler erleiden, im Vergleich zu den Folgen für die gegebenenfalls vom einem weiteren Geflügelpestausbruch betroffenen Tierhalter und zum gesamtwirtschaftlichen Schaden, der durch jeden einzelnen Geflügelpestausbruch für die gesamte Geflügel- und Lebensmittelwirtschaft in Thüringen entstehen kann, nachrangig sind. Insofern überwiegt das öffentliche Interesse an den Untersuchungen die Interessen der betroffenen Geflügelhändler. Die Anordnungen der Punkte 1. bis 3. sind daher verhältnismäßig.
Die sofortige Vollziehung der Anordnungen der Punkte 1. bis 3. dieser Allgemeinverfügung wird auf der Grundlage des § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet. Bei der Geflügelpest handelt es sich um eine hochansteckende und leicht übertragbare Tierseuche, die bei Ausbruch mit hohen wirtschaftlichen Schäden und weitreichenden Handelsrestriktionen einhergeht. Die Maßnahmen zum Schutz vor der Verschleppung der Seuche müssen daher sofort und ohne eine zeitliche Verzögerung greifen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfordert ein besonderes Vollzugsinteresse, welches über jenes hinausgeht, das den Bescheid rechtfertigt. Es liegt im besonderen öffentlichen Interesse, dass die zur wirksamen Seuchenbekämpfung erforderlichen Maßnahmen ohne zeitlichen Verzug durchgeführt werden können. Es ist daher sicher zu stellen, dass auch während möglicher Widerspruchs- bzw. Klageverfahren alle notwendigen Bekämpfungsmaßnahmen rechtzeitig und wirksam durchgeführt werden können. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liegt sowohl im öffentlichen Interesse als auch letztlich im Interesse aller beteiligten Halter und auch der Händler. Dem besonderen öffentlichen Interesse stehen keine vorrangigen oder gleichwertigen Interessen des Tierhalters gegenüber, die es rechtfertigen könnten, die Wirksamkeit der Allgemeinverfügung bis zu einer zeitlich noch nicht absehbaren unanfechtbaren Entscheidung über einen möglichen Widerspruch hinauszuschieben. Insofern überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ein entgegenstehendes privates Interesse an der aufschiebenden Wirkung eines eventuellen Widerspruchs.
Im Übrigen hat die Anfechtung einer Anordnung von Maßnahmen diagnostischer Art [...] keine aufschiebende Wirkung, vergleiche § 37 Nr. 2 TierGesG.
Der Vorbehalt des Widerrufs der Anordnungen dieser Allgemeinverfügung erfolgt gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 ThürVwVfG, um die jeweils aktuelle Gefährdungssituation/Tierseuchenlage bzw. eine veränderte epidemiologische Situation berücksichtigen zu können, die ggf. eine Änderung/ Ergänzung/ Anpassung/ Aufhebung etc. von Anordnungen notwendig machen würde. Die Entwicklung einer Tierseuche verläuft nicht statisch und bedarf deshalb der permanenten Evaluierung und Neubewertung.
Entsprechend § 41 Abs. 4 Sätze 3 und 4 ThürVwVfG gilt die Allgemeinverfügung zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag, bestimmt werden. Von dieser Ermächtigung wurde Gebrauch gemacht, da die tierseuchenrechtliche Anordnung keinen Aufschub duldet.
Diese Allgemeinverfügung wird auf der Grundlage des § 41 Abs. 3 Satz 2 ThürVwVfG öffentlich bekannt gegeben. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Adressatenkreis so groß ist, dass er, bezogen auf Zeit und Zweck der Regelung, vernünftigerweise nicht in Form einer Einzelbekanntgabe angesprochen werden kann. Dies gilt insbesondere, da auch mobile Händler von außerhalb des Gebietes Thüringens hier Handel treiben können und diese der zuständigen Veterinärbehörde ggf. nicht bekannt sind. Im Rahmen der Ermessensausübung muss die Behörde zu dem Ergebnis kommen, dass die Bekanntgabe der Verfügung sofort zu bewirken ist. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da die tierseuchenrechtliche Verfügung gemäß den o. g. Ausführungen keinen Aufschub duldet.
Von einer Anhörung wurde gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 ThürVwVfG abgesehen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung war zu berücksichtigen, dass bei der vorliegenden Sachlage die Anhörung der Betroffenen nicht zu einer anderen Beurteilung der Dinge geführt hätte.
III.
Auf die Erhebung von Kosten wird gemäß § 28 Nr. 1 ThürTierGesG verzichtet.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der Stadt Suhl, Friedrich-König-Straße 5, 98527 Suhl, erhoben werden.
André Knapp
Oberbürgermeister
Hinweise:
A Widerspruch und Anfechtungsklage haben gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Dies bedeutet, dass die Anordnungen befolgt werden müssen, auch wenn ein Rechtsbehelf eingelegt wird.
B Zuwiderhandlungen gegen diese Allgemeinverfügung stellen Ordnungswidrigkeiten im Sinne von § 32 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. Abs. 3 des TierGesG dar. Diese können mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000 € geahndet werden.
C Hinweise zur Anmeldung/Abmeldung von Geflügelbeständen erhalten Sie auf der Homepage der Stadt Suhl
D Diese Allgemeinverfügung ist nach Ihrer Veröffentlichung zu den allgemeinen Geschäftszeiten im Veterinäramt der Stadt Suhl einsehbar.
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